Teil 16
In unserer Menschenwelt neigt sich ja gerade ein Schuljahr dem Ende zu, und die halbe Verwandtschaft stellt diese Frage – an (leicht genervte) Kinder natürlich, nicht an kleine, alte Terrier.
Würde er gefragt, wäre die Antwort eine Erstaunliche – das Lernpensum des kleinen Meister Gildin in den letzten Monaten war ein Beachtliches. Wenn man sich seinen „Lehrplan“ so ansieht, wird erst offensichtlich, welche Leistungen er vollbracht hat.
Schauen wir mal, welche „Fächer“ der kleine Terrier so besucht und wie dort gelernt wird …
„Umwelt erkunden“
Neue Gegenstände und Situationen waren zu Beginn generell einmal unglaublich gruselig.
Des Terriers Devise war „Ich frier mal ein und bin nicht da, vielleicht geht‘s dann wieder weg!“
Wie ändert man das?
Damit Gildin später auch neugierig in seine erweiterte Umwelt gehen kann, ohne von Angst gelähmt und gehemmt zu sein, braucht es mehr, als nur regelmäßiges Präsentieren neuer Objekte und Situationen in der Hoffnung, er gewöhnt sich daran. Das allein gäbe ihm keinen Grund, sie nicht mehr zu fürchten.
Um erkunden zu können, muss sich Hund grundlegend sicher fühlen. Sein Umfeld muss ihm zuverlässig Tag für Tag beweisen, dass er keinen Schaden zu befürchten hat, und dass er Einfluss auf das Geschehen um sich nehmen kann. Deshalb habe ich mich von ihm immer zuverlässig wegschicken lassen, Gegenstände entfernt oder Situationen sofort beendet, wenn Gildin Unbehagen zeigte. Das nahm ihm die Grundangst, dass er ausgeliefert sein könnte und macht es ihm möglich, offen auf neue Anreize zu reagieren.
Neues wird immer noch im vom Terrier gewählten Abstand präsentiert, meist mit der Möglichkeit, sich selbstständig anzunähern und etwas Gutes abzuholen – und der Zweiten, es sein zu lassen, und mit etwas Anderem an eine Belohnung zu kommen.
So ist auch die neue Kühlmatte spannend statt gruselig.
Der kleine Terrier hat gelernt – „Ich muss nicht, deshalb kann ich!“ und natürlich, dass sich Mutig Sein immer auszahlt.
Dass es dazu nicht einmal unbedingt einer von mir kommenden Belohnung bedarf, sondern die Freude am Können an sich das ganze Selbstbelohnend macht, zeigt sich darin, wenn Gildin von selbst zu einem seiner Geschicklichkeitsspiele geht, um einfach nur die Abdeckungen zu schieben – weil er es kann, und es sich gut anfühlt, etwas zu können!
Aber schon der erste Versuch war sehenswert.
Mittlerweile ist Gildin ganz begeistert und probierfreudig und wenn ich mit einem neuen Hunde-Denkspiel ankomme, steht immer „Oh! Für mich?“ in seinem Gesicht.
Es dürfen auch schon klappernde Hütchen dabei sein oder etwas mal unerwartet rausfallen – alles kein Thema mehr für den kleinen Terrier!
„Sozialkunde“
Menschen waren zu Beginn unseres Weges Gildins persönlicher Alptraum. Dass meine Anwesenheit oder mein Erscheinen jetzt kein Freeze und keine Flucht mehr auslöst, sondern Gildins Reaktion in erwartungsvoller Zuwendung und oft schon Hinterhertrappeln besteht, ist für euch Silberfunken-Leser_innen nicht mehr überraschend.
Das zuverlässige Wahren von Gildins Grenzen, das stete Beachten und Respektieren seiner Signale, haben uns hier schon weit gebracht.
Ein Sonderthema sind allerdings abstehende, potenziell Schmerz zufügende menschliche Teile wie Hände und Füße. Nachdem wir an dem Thema „Hände“ schon ziemlich erfolgreich gearbeitet haben, war es Zeit für den nächsten Schritt – auch Füße und Beine sind ok!
(Riechen vielleicht seltsam, sind aber ungefährlich…)
Was ich dafür mache? Den kleinen Terrier zu wunderbarer Distanzlosigkeit verleiten und diese dick belohnen. Immer öfter dienen in bereits bekannten Übungen Füße und Beine als Belohnungs-Abholort, öfter gebe ich ihm Gelegenheit, sich seine Belohnungsstückchen erfolgreich zu mopsen – der Teller steht halt einfach meist bei meinen Füßen herum.
Ein Wenig hinderlich bei Letzterem ist, dass Gildin mittlerweile für seine Belohnungen lieber arbeitet, als sie sich gratis abzuholen.
Das führt uns gleich zum nächsten Fach in Gildins Bildungscurriculum.
„Wirtschaftskunde“
Darin versuchen wir auch Menschenkindern den Wert von Arbeit beizubringen. Der kleine Unterschied ist, dass Gildin in einer Welt mit bedingungslosem Grundeinkommen lebt und jetzt zusätzlich Möglichkeiten kennenlernt, dieses mit dicken Boni aufzubessern.
Die gäbe es zwar auch für bloße Anwesenheit – kein Hund wird durch Belohnungen zum faulen Tyrannen! – der kleine Terrier hat allerdings für sich entdeckt, dass etwas zu leisten und zu schaffen die Belohnung noch wesentlich besser schmecken lässt.
Auch die eigenartigen Geräusche, welche die Zweibeinerin macht, wenn sie vom Tun des Terriers angetan ist, hat er mittlerweile auf den Gehaltszettel gesetzt. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, weil ich einfach gern, viel und impulsiv lobe und die erste Zeit diesbezüglich ziemliche Impulskontrolle von mir verlangt hat. Gildin fordert nun seine Arbeitseinheiten regelrecht ein – und niemand will einen gelangweilten Terrier zuhause haben!
„Bewegung und Sport“
Selbstwahrnehmung ist auf dem Weg zu einem angstfreien, positiven Umgang mit dem Leben unerlässlich. Zum Glück ist es heute kein Geheimnis mehr, wie eng Körper und Seele zusammenhängen. Deshalb war natürlich einer der erste Schritte, Gildins körperliche Baustellen so weit wie möglich zu beheben. Der nächste, ihm durch gezielte Übungen sein Körpergefühl und aus wachsendem Können und Wohlbefinden ein Stück Selbstbewusstsein zurück zu geben.
Wir kennen das von uns selbst – fühlen wir uns fit, sind wir in der Lage, körperliche Herausforderungen problemlos zu bewältigen, wissen wir um die eigenen physischen Möglichkeiten und spüren und fühlen wir uns gut, begegnen wir dem Leben einfach aufrechter. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dieser Effekt ist bei Hunden genauso zu finden.
Gildin konnte zu Beginn kaum über ein wenige cm hohes Hindernis steigen, er hatte nicht die leiseste Ahnung davon, was sein Körper ab den Schultern tat. Dadurch fand er in seinem Alltag vieles, das ihm als Hindernis erschien, stolperte und fiel oft – jedes Mal ein Schreck-Erlebnis.
Wir haben mit ganz kleinen, leichten Hindernisstrecken begonnen, aus denen sich Gildin nach Gutdünken seine Wurststückchen abholen konnte – so begann er, sich überlegter zu bewegen, selbst wenn er ein Gerät nur umschiffte.
Das fördert auch das so wertvolle „langsame Denken“ – also in Anbetracht einer Herausforderung nicht sofort auf das Notfallsprogramm des Gehirns zurück zu greifen, sondern bewusst zu überlegen.
Zunehmend konnte sich Gildin dann, weil er sich im Tun sicherer fühlte, auch von meiner Hand leiten und zu neuen Bewegungen führen lassen.
Wackelige, nachgiebige Untergründe sind erst jetzt in unserem Stundenplan eingeflossen.
Um so etwas zu bewältigen, muss erst langsam die Muskulatur bis in die Halte- und Tiefenmuskulatur gestärkt, Bänder und Gelenke an Belastungen gewöhnt und die Propriozeption geschult werden, weil sonst ein unnötiges Verletzungsrisiko besteht.
Man sieht, wie angestrengt seine Muskeln noch arbeiten müssen.
Gildin kommt heute voller Tatendrang an, wenn ich seinen „Turnsaal“ herrichte und wagt sich auch schon an schwierige Übungen.
Er fällt nicht mehr über Deckenfalten und Türschwellen und legt schon manchmal einen kleinen Trab auf dem Weg durch sein Domizil ein, ohne japsend umzufallen.
Je weniger seine physischen Einschränkungen werden, desto freier gibt er sich und desto erkundungsfreudiger und selbstständiger wird er.
Und das ist eines unserer großen Ziele!
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