Silberfunken - Gildins Reise ins neue Leben - „Mein Name ist Gildin. Ich bin kein Angsthund ...
Teil 20
... Ich bin Gildin!"

Warum der kleine Terrier so darauf pocht?
Erstens wissen wir heute, dass Hunde über ein Ich-Bewusstsein verfügen. Eine ziemliche Erkenntnis, wenn man bedenkt, dass es immer noch Menschen gibt, die ihnen sogar Emotionen absprechen.
Warum das im Zusammenleben mit unseren Hunden wichtig ist? Weil es uns die Bedeutsamkeit klar macht, die die Möglichkeit der Selbstwirksamkeit und der Umweltbeeinflussung für das seelische Wohlergehen unserer Hunde hat – und wie viel Schaden es an der Hundeseele anrichtet, beides nicht zu haben.
Ja, klar – das ist es doch zum Teil, was Gildin zu einem Angsthund gemacht hat!
Wäre ich jetzt computertechnisch fitter, würde ich jetzt hier ein dickes Stoppschild einfügen.
Weil hier gerade genau das geschieht – nicht in schlechter Absicht! – was wir tagtäglich mit anderen Lebewesen, Dingen und Gegebenheiten in unserer Umwelt tun. Wir hängen ihnen ein Label um. Wie die Ausschilderung von Waren im Supermarkt.
Wir meinen das nicht abwertend oder böswillig – es hilft uns einfach dabei, unsere Welt für uns zu strukturieren und zu ordnen. Hat es auf wohl niemanden eine negative Auswirkung, wenn ich einen SUV als „Fahrzeug“ betitle oder Karotten als „Gemüse“, verhält sich das mit unseren Mitgeschöpfen ganz anders.
Dass wir kategorisieren und beschildern, ist eine funktionierende Strategie – weshalb wir sie so oft anwenden. Aber wie bei anderen Dingen bedeutet Funktionalität nicht, dass etwas richtig, auf alles und jeden anwendbar und ethisch vertretbar ist.
In der Hundewelt führt Labeling leider oft zu fatalen Geschichten.
Mit Labeling erspart man sich die aufwendige, differenzierte Betrachtung des Individuums. Ist Hund (oder Mensch) einmal in eine Schublade gesteckt, führt nur schwer ein Weg heraus.
So wie wir ganz oft leider unsere Mitmenschen automatisch in Schubladen stecken, weil es unserer Denkstruktur entgegen kommt, so tun wir das auch mit Tieren (was dazu führt, dass wir „Haustiere“ streicheln und „Nutztiere“ wegsperren, töten und essen), und eben leider auch mit Hunden.
Ganz häufige Labels für Hunde sind der berühmte „Angsthund“, der „dominante Hund“, der „aggressive Hund“, neben anderen Einteilungskategorien wie Jagdhund, Gebrauchshund, Familienhund etc.

Dieses Labeling verhindert ein tatsächliches Eingehen auf die Persönlichkeit und die Bedürfnisse des einzelnen Hundes, weil jedes dieser Label in uns eine vorbestimmte Erwartungshaltung hervorruft, und wir dann dazu neigen, dieser entsprechend wahrzunehmen und zu handeln, und nicht dem Individuum uns gegenüber angepasst.
Als „aggressiv“ oder „dominant“ abgestempelte Hunde werden nicht mehr als individuelles, fühlendes Lebewesen wahrgenommen. Dass hinter jedem Verhalten eine Emotion steckt, die immer einen guten Grund hat, wird getrost ausgeblendet, weil man jetzt ein vorgefertigtes Bild hat, nach dem man handelt. Keiner fragt an dieser Stelle mehr nach dem „Warum?“. Angst, Unsicherheit, fehlende Entwicklung von sozialen Kompetenzen, all das bleibt ungesehen.
Deshalb landen so abgestempelte Hunde bei Vereinen, in Trainingseinrichtungen oder regelrechten Bootcamps, in denen ausschließlich daran gearbeitet wird, zu definieren, was denn der Hund alles falsch macht, und deren Ziel es ist, dieses Verhalten abzustellen.
Hinterfragt man aber Emotionen und Ursachen nicht, kann man daran nicht arbeiten. Es ist die Basis von Allem, was tatsächlich zielführendes Verhaltenstraining ist.
Im schlimmsten Fall sitzen solche Hunde ein Leben lang in irgendwelchen Zwingern oder werden eingeschläfert, weil „nicht therapierbar“.
Keinem unserer geneigten Lesern, geneigten Leserinnen muss an diesem Punkt erklärt werden, bei wem und an welchem Punkt hier fatale Fehler gemacht werden.
Ausschließlich angebliche Fehler beim Hund aufzuzeigen, ohne die hinter einem Verhalten liegenden Emotionen zu berücksichtigen und mögliche Lösungen aufzuzeigen, ist nicht nur nicht hilfreich, sondern ermöglicht auch keine wirklich Arbeit am Problem.
Ich habe zuvor die gewagte Behauptung aufgestellt, Gildin ist kein Angsthund. Allein schon deshalb, weil wir nicht labeln und kategorisieren wollen. Aber auch deshalb, weil "Angsthund“ keine gültige Beschreibung für seine facettenreiche kleine Persönlichkeit (und nicht nur seine!) ist.
Gildin ist ein Hund, dem in seinem schon recht langem Leben scheußliche Dinge widerfahren sind und dem ganz viel vorenthalten wurde. Mit weniger Resilienz, die ihm wohl durch glückliche Veranlagung und vielleicht auch durch positive Erlebnisse vor seiner Holzhüttenecken-Zeit gegeben ist, hätte er diese Existenz kaum so lange durchgehalten, und sich schon gar nicht auf den Weg aus dem Trauma heraus machen können.

Natürlich hatte und hat Gildin vor vielen Dingen (noch) Angst. Aber ihr erinnert euch an unseren Mut-Silberfunken – Gildin ist auch unsagbar mutig.
Mut und Resilienz können aufgebaut werden – ein positiver Kreislauf kann beginnen.
Gildin zeigt uns aber noch so viel mehr. Dass er ist mittlerweile neugierig, an seiner Umwelt interessiert, sehr determiniert in seinen Meinungsbekundungen und in der Lage ist, seine Bedürfnisse immer besser wahrzunehmen und mitzuteilen – all das macht ihn aus.
Was davon sollte ihn zum „Angsthund“ abstempeln? Schlechte oder fehlende Erfahrungen sind kein Charakterzug. Sie beeinflussen, wie Dinge und Situationen wahrgenommen werden und wie ein Lebewesen darauf reagieren kann – aber all das kann durch gute Erfahrungen verändert werden. Und worauf er wie reagiert, ändert sich konstant.
Im bulgarischen Tierheim hieß es, Gildin sei bissig. Da hätte auch ganz schnell das Label „aggressiv“ auf dem kleinen Terrier kleben können, und hätte er sein Dasein nicht fast unsichtbar ausschließlich in jener Ecke gefristet, hätte dieses Label seinem Leben ein frühes Ende bescheren können.
In ganz wenigen Situationen haben Labels unter Umständen ihre Berechtigung.
Entläuft z.B. ein Hund, der ängstlich auf Menschen reagiert, macht es Sinn, involvierten Helfern am Start den Begriff „Angsthund“ zu zu werfen – weil das über Erfolg oder Misserfolg der Sicherung entscheiden kann.
Bewirbt sich eine Familie mit Kindern um einen süßen, plüschigen, traurig schauenden Shelterhund, weil er ihnen so gut gefällt, werden sie mit einer Absage besser umgehen können, wenn ihnen gesagt wird, als „Angsthund“ kann er nicht zu Kindern vermittelt werden.
In meinen langen Jahren freiwilliger Tätigkeit in einem ungarischen Tierheim war ich durchaus dankbar, wenn man mir mit der Bitte um Begutachtung eines Neuzuganges den Begriff „aggressiv“, „bissig“ oder „ängstlich“ mit auf den Weg in den Zwinger gab – nicht, weil damit dieser spezielle Hund für mich irgendwie definiert gewesen wäre. Es war nur ganz angenehm, im Vorfeld gewarnt zu sein, dass man entsprechend an die Sache herangehen kann und unbeschadet bleibt. Übrigens hat sich so ein Begriff dann bei einem Hund nie bestätigt, der dann zu uns auf Pflegestelle ging.
Abgesehen davon haben aber Labels weder im Zusammenleben mit unseren Hunden, und schon gar nicht im Training, etwas verloren. Labels beschränken auf Klischees, hemmen unsere Wahrnehmung, reduzieren auf Stereotypen und strotzen nur so vor schlichtweg falschen Begriffen. Sie verhindern, dass wir wirklich „sehen“ und die Dinge zum besseren verändern können.
Was würde der kleine Terrier sagen, würde er gefragt?
Ganz einfach: „Ich bin Meister Gildin!“

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