Teil 14
... aber deshalb tu ich es auch nicht. Ich habe keinen alten, traumatisierten Hund zu mir genommen, um es leicht zu haben. Genauso wenig, wie um etwas zu beweisen – wie auch, wenn man sich auf eine Reise begibt, von der man (außer einem) nicht einmal das Ziel kennt.
Das bekannte Ziel – kleiner, alter Terrier beginnt, das Leben schön zu finden – erreichen wir jeden Tag ein Stückchen mehr.
Und auch unsere Etappen-Specials – mutig werden, das Köpfchen benutzen, lernen lernen, Vorbereitungsschritte auf spätere mögliche Abenteuer – rockt unser kleiner Meister Gildin eines nach dem anderen.
Jetzt kann leicht der Eindruck entstehen, das liefe alles geradlinig, locker, ohne Kurven und Hoppalas. Dass wir hier nicht ins Leben reisen, sondern durchs Wolkenkuckucksheim, mit einem gratis All-In-Ticket, und dabei nie schwitzen, an Grenzen stoßen oder Tränen fließen.
Ich möchte euch auf dieser Reise, Gildins Reise ins neue Leben, wirklich dabei haben, und sicher gehen, dass sich von all den wunderbaren Gildin-Fans da draußen keiner je selbst auf so einen Trip begibt, ohne zu ahnen, was kommt.
Dass sich jeder Schritt lohnt – das wisst ihr ja alle schon längst.
Schlafen wird überbewertet…
... sagt sich leicht. Stimmt natürlich nicht. Deshalb war ja der erste Task für den kleinen Meister Gildin, schlafen zu können, tief und entspannt und lang, um fit zu sein für neue Herausforderungen.
Klappte auch recht schnell, mit Anpassung der Umgebung, unterstützenden Kräutern und viel Fingerspitzengefühl bei Kontakt und Beschäftigungen.
Ergebnis war – Gildin konnte bald schlafen wie ein Welpe. Ich nicht. Das lag daran, dass Gildin einen vollkommen umgedrehten Tag-Nacht-Rhythmus hatte.
Eine logische Konsequenz daraus, dass er über ein Jahrzehnt in dieser Hüttenecke versteckt gelebt hat, und sich vermutlich – für Hunde in dieser Lage typisch – nur nachts gelöst und mit Resten versorgt hat, wenn kein Mensch in der Nähe und die anderen Hunde im Ruhemodus waren.
Was über zehn Jahre währt, vergeht nicht in wenigen Wochen.
Kommt man noch ein paar Tage mit 2 bis 3 Stunden unterbrochenem Schlaf ganz gut über die Runden, zeigt man dann doch nach einiger Zeit Wirkung.
Wecker um 5, verantwortungsvoller Beruf, Terrier aktiv von 1 bis 4.
Aktiv auf eine Art, in der er mich brauchte. Ich habe mich diesem kleinen Hund als Bezugsperson angeboten, ihn um sein Vertrauen gebeten – das muss auch zwischen 1 und 4 Uhr nachts gelten.
Ohne ein Bisschen myth-busting geht‘s bei uns nicht – jammern lassen und ignorieren, bis er irgendwann erschöpft aufhört, in eine Box sperren, damit er nachts nicht reinmacht, Raunzen abstellen durch Schimpfen, Schrecken, sonstige fiese Maßnahmen bringt gar nichts.
Außer eine im Keim zerstörte Beziehung, da ich als Fürsorgeperson meine Rolle dem kleinen Terrier gegenüber nicht erfülle.
Was hat geholfen? Aufstehen (seufzend, aber doch), herausfinden, was des kleinen Terriers Not gerade ist, und diese nach Kräften beheben. Und sei es nur durch das Angebot, da zu sein.
Nein, ich habe damit nicht sein Verhalten gefördert. Seine Angst war es, etwas zu brauchen, allein zu sein, und in seiner Not verharren zu müssen.
Was ich ihm davon nehmen konnte, habe ich ihn genommen.
Auch wenn mir das Weckerklingeln phasenweise die Tränen der Verzweiflung in die Augen trieb und die Akkus leer wurden, ich mir die einfachsten Dinge manchmal nicht mehr merken konnte und ich im Sitzen auf der Couch eingeschlafen bin.
Man schätzt einige Stunden ununterbrochenen Schlaf plötzlich wieder ganz anders.
Wer dazu nicht bereit ist, und sich nicht sicher ist, wie tragfähig seine Sicherungen sind – der nehme sich keinen Gildin.
Eigene Regeln brechen müssen…
... ist etwas ganz Furchtbares. Weil man schon im Vorfeld weiß, dass man dafür bezahlen wird, und trotzdem eine Entscheidung treffen muss. Manchmal sind es kleine Anlässe, und schon heißt es – drei Felder retour.
So unlängst geschehen. Der kleine, alte Terrier hat es irgendwie geschafft, sich nachts in seinen – brav draußen verrichteten – Kackhaufen zu setzen.
Jetzt ist der kleine Meister Gildin ein äußerst reinlicher Hund, und eine derartige Verschmutzung des kleinen Terrierschinkens Anlass zu höchster Klage.
Unter der Prämisse – es ist eklig. ICH putz mich da nicht.
So, da stand ich nun, wieder mal im Nachtgespenst-Outfit, vor den quengelnden kleinen Terrier mit Kacke im Fell, wissend, dass er eigentlich noch absolut nicht angefasst werden möchte, war irgendwie gezwungen, zu handeln.
„Fass mich nicht an, aber mach‘s bloß weg!“ – was für eine Vorgabe.
Natürlich ging es nicht ganz ohne anfassen, und nachdem der kleine Terrier nichts von meinen Gewissensbissen und fieberhaften Überlegungen wusste, nahm er meine Reinigungsmaßnahme entsprechend übel und wich mir danach wieder eine ganze Zeit lang aus.
Trotzdem beinhaltete das Ganze auch eine wirklich schöne Erkenntnis – so doof er es fand, ließ er es dennoch ohne Abwehrreaktionen geschehen, Waschlappengerubbel war nur misslauniges Raunzen wert.
Wer nicht mit – zu Recht – ausbleibender Dankbarkeit zurecht kommt und nicht damit leben kann, einen Hund nicht anfassen zu können, außer es muss sein, wenn jemand unbedingt den ersten Schritt machen will und nicht auf den des Hundes warten kann – nehme er sich keinen Gildin.
Sommersorgen
Einen alten Hund zu adoptieren bedeutet, mit dem Gedanken zu leben, dass es gesundheitliche Themen gibt. Es bedeutet, vieles anpassen zu müssen, weil vielleicht manches einfach nicht mehr, oder nur sehr langsam geht. Nicht zwangsläufig – aber es ist möglich.
Der kleine Meister Gildin wurde zwar anlässlich seiner unumgänglichen Zahnfleischtumor-OP durchgecheckt und war altersadäquat unauffällig, an den ersten heißen Tagen jetzt zeigt sich jedoch, dass ihm die Hitze schwer zusetzt.
Natürlich kann sich ein altes Herz in der ersten Hitzewelle plagen – und wäre es kein Gildin, würde man eben einfach nochmal beim Tierarzt vorstellig werden zum Checkup.
Auch das ist mit einem Gildin eine schwere Entscheidung – auch Angst kann das Leben kosten. Gildin bekommt nun ein pflanzliches Mittel zur Herzunterstützung, das ihm offenbar sehr gut tut. Doch gegen die sorgenvollen Gedanken, die mich ihn mit Argusaugen beobachten lassen, nützt es nichts.
Wer seinen Hund ohne Sorge betrachten und mit ihm uneingeschränkt arbeiten will, wer Zweifel an der eigenen Fähigkeit, Pläne und Vorhaben zurückstellen zu können, hegt, wer sein Sparbuch für einen Urlaub statt für Tierarztbesuche füttern will – der möge keinen Gildin adoptieren.
Fehler machen…
... kann in einem Lernprozess niemals der Lernende. Wenn bei uns im Training etwas nicht läuft, gehört der Fehler mir. Niemals Gildin.
Und eigentlich ist bei einer Arbeit mit einem Gildin kein Raum für Fehler.
Ein Brocken Verantwortung, den man nicht unvorbereitet schultern sollte, weil man dann nämlich mit ziemlicher Sicherheit auf der Nase landet.
Ich bin bei Allem, was ich bisher auf dem Trainingssektor erfahren und lernen durfte – und das auch weiterhin ständig tue – natürlich nicht vor solchen Fehlern gefeit. Man lernt nie aus.
Wie sagt die wunderbare Susan Friedman gern? „We can do better!“
Ich hab‘s geschafft, Gildin bei einer toll laufenden Übung auf seinem Ruhedeckchen mit der Belohnungswurst abzuschießen.
Ich habe zu früh ein neues Halsband ins Anzieh-Training eingebracht.
Ich hab es zugelassen, dass ein blöder Zufall mit Schreckmoment für Gildin den Clicker erstmal wieder kaputt gemacht hat – tja, wie war das mit sorgsamster Vorbereitung der Lernumgebung?
Mir ist schon mal fürs grand finale der Übung die Wurst ausgegangen.
Ich hab völlig gedankenverloren im Vorbeigehen über den kleinen Terrierrücken gestreichelt.
Nichts von all dem hätte mir passieren sollen, ist es aber.
Dass es keine dauerhafte Beschädigung der Lernprozesse gegeben hat, dass ich für solche Fälle eine Werkzeugkiste habe, in die ich greifen kann, verdanke ich vielen großartigen Menschen mit enormem Wissen auf dem neuesten Stand, von denen ich bisher lernen durfte und noch werde – in der Praxis, in Seminaren, Aus- und Fortbildungen, live, online, aus Büchern, aus Gesprächen, wenn ich mal nicht weiter weiß (danke Margot…).
Deshalb: wer denkt, aus reiner Erfahrung längst genug zu wissen, wer glaubt, nichts fragen zu müssen, wer denkt, „Das wird schon irgendwie!“, wer irgendwelche Deadlines hat, bis wann der Hund „repariert und funktionsfähig“ sein soll ,wer der Ansicht ist, ein Quickfix-Trainingsvideo zu kaufen oder das Ansehen spektakulärem TV-Trainings genügt, um einem Hund wie Gildin ins Leben zu helfen – der nimmt sich bitte keinen.
Nicht nur sich selbst, sondern auch den Tierschützern vor Ort und in der Vermittlung zuliebe, die all ihre Hoffnungen in eine solche Adoption setzen und viel Herzblut darin lassen.
Aber vor Allem um all der Gildins dieser Welt Willen – sie haben meist nur diese eine Chance.
Findet man in sich die Kraft, und ist sich sicher, dass sie für den Rest dieses kleinen Hundelebens ausreichen wird, egal was kommt, hat man um sich das richtige Netzwerk, und das passende Lebensumfeld, hat man sich eine umfangreiche Werkzeugkiste erarbeitet und im Herzen die absolute, uneingeschränkte, bedingungslose Liebe zu solchen besonderen Hunden – dann hat ein Gildin die Chance auf Leben, wie es sein soll.
... und dann beginnt ein Gildin Spuren in seinem neuen Leben zu hinterlassen.
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