Teil 4
So entsteht also der Silberfunken-Blog
Gildin ist jetzt seit zwei Wochen hier und hat begonnen, Stückchen für Stückchen anzukommen.
Dass das möglich ist, verdanke ich unter Anderem diesem wunderbaren Hundemädchen
In Vermittlungstexten steht oft, dass ein Zweithund hilfreich sein könnte – kein verkehrter Gedanke. Es ist aber nicht jeder Hund dafür geeignet.
In der Anfrage steht dann, es wäre ein fröhlicher, kontaktfreudiger Ersthund da.
Hey, wunderbar, da hat der schüchterne Neuankömmling gleich einen neuen Freund!
Am ersten Abend ergeht dann ein Mail an die Orga, man möge den gebrachten Hund umgehend wieder abholen, er vertrage sich nicht mit dem Ersthund, der ihn doch nur begrüßen wollte und jetzt eine neue Verzierung auf der Nase hat.
Oder der Ersthund möge normalerweise alle anderen Hunde auf der Hundewiese, nur den Neuen mag er nicht, und deshalb möge Selbiger mit neuer Verzierung auf der Nase umgehend wieder abgeholt werden.
Die Crux mit dem sozialen Ersthund ist, dass nicht alles sozial einwandfei ist, was für uns auf den ersten Blick danach aussieht. Und dass die Aufgabe, Ersthund zu sein, eine enorm schwierige ist. So mancher „will immer mit allen Anderen spielen“ – Hund ist in Wahrheit ein Stress-Fiddler, der sich durch übersteigertes Spielgehabe in und aus überfordernden Sozialsituationen zu retten versucht – weil ihm sonst keiner hilft, weil keiner seine Not erkennt. Sieht nämlich süß aus. Einem neu ankommenden, völlig überforderten Tierschutzhund nun diesen Ersthund vor die Nase zu setzen, weil ihn der sicher aufmuntert, geht schief. Das ist dann die Sache mit der neu verzierten Nase...für die keiner der Hunde etwas kann. Der fiddelnde Ersthund bekommt eine Aufgabe, die er nicht leisten kann.
Oder der Hund, der draußen auf der Hundewiese mit allen Anderen kann, findet einen gestressten, müffelnden, sich merkwürdig verhaltenden Artgenossen in den eigenen vier Wänden einfach eine Zumutung, weil im Gegensatz zu Sozialsituationen auf neutralem Boden seine Toleranzgrenze einfach überschritten und das Terrain zu beengt ist.
Der Neuzugang ist mit der Situation so überfordert, dass er es nicht schafft, auf die Signale des Ersthundes adäquat zu reagieren – und wir sind wieder bei der Verzierung auf der Nase angelangt.
In beiden Fällen ist es unsere Aufgabe, unseren Ersthund wirklich gut zu kennen, genau genug hin zu schauen, schon leises Anmerken von Unwohlsein zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren.
Niemals den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen in der Hoffnung, es wird schon gut gehen.
Es ist kein Versagen, wenn die Hunde anfangs getrennt werden. Ebenso wenig, Wochen in kleinschrittige Gewöhnung zu investieren. Unser Versagen wäre, unsere Hunde mit der Situation allein zu lassen. Anforderungen an sie zu stellen, die sie nicht leisten können. Uns nicht mit ihren Signalen auseinandersetzen zu wollen. Sie „sich das ausmachen“ zu lassen. Erst dann zu reagieren, wenn sie etwas „falsch“ gemacht haben oder es knallt. Beide brauchen auf diesem Weg unsere Begleitung, die ihnen durch Hilfe, Management, Lob und
bedürfnisorientierter Bestätigung den Weg zueinander weist!
Wer könnte er dann aber sein, der neue erste beste Freund?
Ich mag in diesem Zusammenhang das Wort „souverän“. Im Sinne von gelassen, empathisch, erfahren, tolerant, selbstzufrieden und selbstsicher.
So, und jetzt kommt‘s: Amarie, die ich doch zu Beginn als meine große Unterstützung und Paradebeispiel für den Ersthund gelobt habe, war bis vor wenigen Jahren nichts von all dem. Eher das krasse Gegenteil – sozial total unsicher, in der Kommunikation auf 42 blendend weiße Argumente mit entsprechender akustischer Untermalung beschränkt und in dem steten Bestreben, jedem Gegenüber aus lauter Angst vor möglicherweise drohender Gefahr schon im Vorfeld den Garaus zu machen.
Aber sie bekam von einem unglaublich souveränen Altdeutschen Schäferrüden namens Benjamin die Chance zu lernen, wie es richtig geht. Das ist es, was wahre Freunde tun.
Ich bekam durch sie die Chance zu erkennen, was ich alles nicht wusste, und das zu ändern. Und heute ist sie diejenige, die all das weitergibt. SIE ist der Ersthund, den Hunde wie Gildin brauchen, die auf andere Hunde mit Atemstillstand und, wenn ohne Ausweg, ihren Zähnen reagieren. Sie ist empathisch, verfügt über eine enorme Impulskontrolle, wenn es wichtig ist und stellt sich ohne Anstrengung auf die Situation ein
Gildin hat ja bei Einzug den ruhigsten Raum des Hauses, mein Schlafzimmer, zugeteilt und abgetrennt bekommen. Einziger Nachteil – das Mirli und ich möchten die Nacht auch gern dort verbringen. Ich habe Amarie am ersten Abend bedenkenlos ins Zimmer gelassen. Sie hätte gern „Hallo!“ gesagt, nahm sich aber den Moment, wahrzunehmen, wie es dem neuen Gegenüber gerade erging – umschiffte ihn großräumig und ging schlafen. Ganz souverän.
Hätte ich auch nur den allerleisesten Zweifel gehabt, dass es anders ablaufen könnte, wären dem viele kurze, ruhige, gemeinsame Betrachtungen durchs Kindergitter vorausgegangen, mit Belohnen jeden ruhigen Blickes, und jedes freiwilligen Abwendens.
(Und wir hätten eben im Wohnzimmer geschlafen...)
Gildin weiß mittlerweile, dass es keinen - weder freundlichen noch feindlichen – Überfall nach sich zieht, wenn er das Mirli ansieht, wenn sie reinkommt oder wenn wir morgens aufstehen. Er hat erfahren, dass er ihr allein durch Abwenden des Blickes, leichtes Versteifen der Haltung oder ein kurzes, leises Murrgeräusch sagen kann, dass seine Individualdistanz jetzt gleich unterschritten wird, und sie sich dann zuverlässig Anderem zuwendet.
Und auch wenn sie das so gut beherrscht, wird Amarie immer noch jedes Mal von mir gelobt, bestätigt und belohnt – etwas gut zu können, darf niemals ein Grund sein, nichts mehr davon zu haben!
Schätzen wir, was unsere Hunde für uns leisten, auch wenn es selbstverständlich scheint.
Es ist nicht alles einfach, was leicht aussieht.
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